Kunst bewegt zur Toleranz – Heine 49

Juni 4th, 2007

Hölderlin du

Bruder in Stumme und Fels

von Göttern geführt hinab

den pindarischen Pfad

hast du die Helle gesehen

durch die Gewitter hindurch

blitzte das Morgen dir auf

Diotima Pythia lebt

wild blüht der Lorbeer

weit blickst du ins delphische Tal

und kehrst zur Kastalischen Quelle zurück

am Hang des Parnassos

wie oft bist du geschritten im Traum

im dunklen Efeu sahst du

und branntest ein Feuer tief in die Nacht

Schatten da zuckten und stumm

legte sich Schweigen auf Fels

was in den Fesseln sich wälzt

Stimme war’s des freigeborenen Stroms

was aber spaltet die Erde, zerreißt

und stürzt schlangengleich

sich durch Täler und Berge hinweg

städtegründend und Rebenhänge

flutenzerbrechend Dämme entzwei

nichts das da zähmt neu Ufer zu schaffen

brückenlos Abgrund und doch Findung zugleich

trümmerlos starkausdauernd kräftiger Sinn

zu fühlen teilnehmend ein anderer zu sein

aus heiliger Fülle der Weingott speist er die Raben

entweiht die Knechtschaft schlägt mit Blindheit

die sich erhitzen nur ergötzen und ergrellen

mühelos schenkt er den Himmel und legt

auf die Schultern Helle und Glanz einer Stille

nah ist unfaßbar was uns rettet noch fern

in unbekannte Meere strömt was hier noch wellt

und fällt am Ufer tropfenweis am Treibholz ganz herab

wie die Söhne der Erde sind so empfangen sie auch

durch das Dunkel bist du ganz geschritten

durch die Nacht die unser Tag

niemand schröckt hier mehr was auf

darum überrascht es nicht

wenn unter Lasten ganz die Freud erstickt

im Schatten des Walds erwacht

das dämmrige Dickicht nicht mehr

unversöhnlich erstarrt sind

die vom Blitz getroffenen Bäume

die Nacht geht hinunter zum Ufer

es säuseln die Weiden nicht mehr

umgewandelt ist die Zeit

hastet schneller nun vorrüber

wo ist das Maß zu tragen das Schwere das Leichte

Glück und Unglück zugleich Lob und auch Klage

du greifst den Erlenkönig an und stützt ihm auch den Rücken

bei Tage wenn es fieberhaft und angekettet das Gedächtnis

nachts kehrt im Traum uralte Verwirrung auf und über

Felsen springt was eben noch im Feuer ganz erlosch

Kunst bewegt zur Toleranz – Heine 48

Juni 4th, 2007

Und aus der Nacht heraus

kam er

 

den brennenden Raben

auf der Stirn

 

es schrieb sich in den Fels

geheime Zeichen

 

geschwärzt, erstickt

gebrandmarkt, numeriert

 

war’s Feuer, Asche oder Rauch

 

ein H, ein A, ein M, ein R

 

das weiße Lamm

es färbte sich ganz rot

 

und seine Hände

waren Rauch

 

für immer

legte er

 

die Asche

in das Wort

Kunst bewegt zur Toleranz – Heine 47

Juni 3rd, 2007

Auf der Kapelle sitzen Raben

Jahrhunderte schon lang

sie sprechen mit den Speiern

durch die der Regen fließt

den Drachen und Dämonen

den Fratzen und Chimären

wenn unter Wolken ganz die Stadt

der Regen über graue Dächer gießt

und Stille breitet sich dann aus

Gekreische und Gekeife in den Gassen dann verhallt

und auf dem Kirchturm drüben

der Hahn er rostet in dem Wind

der Hahn dort auf Sankt Peter

dem einst er auch gekräht

die Höhen sind nun wieder frei

die Galgenberge weg, die Hakenkreuze auch

der alte Friedhof ist nicht mehr

die Steine alle weg, die Gräber zugeschüttet

wir gehen immer über Gräber

und wissen es oft nicht

die Wasserspeier spucken alles aus

den Regen und auch das Vergessen

das in den grauen Schieferdächern haust

doch hier in diesen stillen Mauern der Kapelle

ist unbedeckt der Himmel offen

noch vieles was in dieser Stadt

fühlbar zugegen

es singen hier die Vögel über Gras

und fliegen durch die hohen Fenster

durch kein Portal tritt man

mehr ein noch aus

Natur schuf mit den Zustand der Kapelle

und trug den einen Flügel ganz hinweg

er rutschte in die Tiefe

so sackte ab der alte Eingang

mit der Madonna und dem Kind

direkt inmitten steht man nun

und geht hindurch und auch vorbei

wo früher war man ganz schon mittendrin

und steile Treppen führen nun hinauf

wo früher sanft man von der Seite

durch Gärten, Weinberg hochgeschritten

die Schatten der Kapelle waren

Pilgerfahrten, ferne Muscheln

doch auch das Schwert,

Verfolgung und der Strick

man mordete im Namen dessen

der gemordet wurde doch wußte

niemand dann von wem, das heißt

es wußte jeder dann sofort und schon zuvor

und selbst nach Generationen noch

die Enkel zeugten was sie nie gesehen

so schafft man immer neue Opfer

und sucht den Haß den Feind sich aus

im Namen Christi, Allah oder der Vernunft

des Fortschritts, der Gefahr des Vaterlands

des Lebens ohne Raum, Revolution, Globalisierung

der Freiheit, Toleranz, der Sitten

und wir verteidigen in fernen Ländern

die wir gar nicht kennen

seit jeher Kreuzug stets

das was uns auch dann

kommt abhanden das wozu

doch in den Mauern der Kapelle

die Pfeiler stehen noch

die Pfeile sind hinweg

am Ketzerufer Scheiterhaufen auch

es spannt sich nicht der Bogen mehr des Haßes

die Pfeile sind hinweg

das Dach gleich mit

als Feinde sprengten hier die Burg

oder verwitterte es ganz einfach

als die Konfessionen sich bekriegten

und vieles nicht mehr tauglich war

Bilder und Skulpturen

das vorher heilig war

der Leichnam der gemordet

kam abhanden

der Sinn so der Kapelle auch

es hielten nun die Raben Einzug

die Schlangen, Mäuse, Würmer auch

der Wind pfiff durch die Fenster

der Regen klatschte naß ins Gras

doch da entdeckten dann

die tiefen stillen Augen der Romantik

daß hier was aufgebaut

was mehr war als Progrom und Grabesstätte

in diesen Stein flocht sich ein Schicksal ein

daß aus dem Dunkel der Geschichte

sich hell in Kunst erhob

die Höhe feiner Sandsteinrippen

das Maß, die Proportion, die Zahl

daß hier erschaffen etwas was sonst nicht

gebaut ein Wille ganz aus hohem Streben

der ohn Zuviel und Übermaß und Zier

schlicht einfach diente einem hohen Zweck

der alle Niederungen überragte

und mitten in dem toten Stein

da wachte auf die Seele

und die Romantik fand hier ganz zu sich

und staunte vor dem Werke unbekannter Meister

Gott schenkte die Kapelle neu

und trug da ab die alten Schatten

die nochmal fürchterlicher flammten als zuvor

und jede Quelle nun versiegt

aus der dann Blut nur sprudelt

und Nischen leer

kein Buch mehr drin

kein Kruzifix kein Grab keine Monstranz

und Nischen leer

so wie ein Thoraschrein

das Buch das mußt du selber sein

dein Herz dein Wort

und Nischen leer

so wie ein Thoraschrein

es gibt kein Herz

das außerhalb

was Gott gegeben

auch die Engel der Finsternisse

übersteigen nicht den Glanz

den er der Schöpfung hat gegeben

und leer der Thoraschrein

auch der in jenem alten Haus

wo die Gesetzesrolle überlebte

die alte Synagoge ist verwaist

wir alle immer Pilger sind

egal was wir auch suchen

oder nicht mehr wissen

was wir suchen

was zu suchen

Jerusalem ist in uns

wenn wir finden

und ist doch immer

unser fernstes weitest Ziel

wir sind nur auf dem Weg

der immer Anfang ist

auf halber Höh

wo breit der Fluß

die weite Biegung macht

und öffnet groß das Tal

zum Süden hin

das abwärts dann

in Bergen felseneng gestaffelt

da wacht sie

oberhalb der Stadt

offen ihre Bögen

und grüßt den Strom

den Reisenden von fern

und ihre hohen Fenster

strecken hoch sich in den Himmel

und fallen ins Auge schon von fern

ihr rotes Sandsteinfeuer leuchtet

die Raben hier auf der Kapelle

sind Wächter über dieser Stadt

daß nicht die Wölfe wieder kommen

und fressen Haut und Haar die Seelen auf

auf graue Schieferdächer fällt der Regen

und  DER  in leeren Nischen scheinbar schweigt

nicht wir, nur ER kann geben

so wie der Strom durch Engen fließt

aus Wunden spendet  ER  den Segen

und die Kapelle über dieser Stadt

vermag der Denkmalschutz sie auch einzufrieren

ist nun das Haus der Raben

Kunst bewegt zur Toleranz – Heine 46

Juni 3rd, 2007

Wie ein Rabe imitiert er

ahmt nur nach und täuscht

gar selbst ja so ist es

Hundeleben in den Gassen

muß man bellen mit dazu

in den Wiesen zirpen Grillen

an den Teichen schnattern schnattern

Schnatterels und Gänserich

an den Mauern Gassenhauer

bei Moral nur kurz erschauern

bei den Demonstranten dann

buhen muhen rufen

an der Uni fabulieren

alles glatt nur ein Zitieren

ja so ist das imitieren

in der Liebe nur bei aller Kunst

 

bricht das Herz

Kunst bewegt zur Toleranz – Heine 45

Juni 3rd, 2007

Und da kam er, schlug an

und flog durch die offene Tür

und nippte am Becher

offen die Tür war der Nacht

und durch die engen Gassen

flatterte ein Schrecken

und setzte sich

ins Aug des Rabbi ganz

als er sah das blutend etwas

und die Gäste die da mimten

mimte er sogleich auch mit

bis er warf das blinkend Silber

in die Fluten tief des Rheins

daß da nichts mehr glänzte

in der Nacht die dunkel

das Exil ihm nun gebracht

Kunst bewegt zur Toleranz – Heine 44

Juni 3rd, 2007

Aus den Flügeln der Nacht

werd ich nehmen

 

das verbitterte Brot

 

das Salz aus den Seufzern des Leids

schöpfen das Grau aus all den Anstaltskitteln

 

die Leere der Wände

die Antwort nur waren

 

die Stumme im Blick

 

eisiges Schweigen

 

die Finger die kalt

nur erstarrt

 

aus der Schrecknis heraus

 

werd ich kratzen den erfrorenen Segen

 

und legen dir

 

taub auf die Lippe

 

der Rabenfeder Glanz

 

das gewendete Weiß der Engel

Kunst bewegt zur Toleranz – Heine 43

Juni 3rd, 2007

Sie fliegen durch die Finsternisse

hin über Felder nur des Tods

wenn alle Hoffnung ist gebrochen

und aller Laut erstickt

wenn Schatten nur das Wort

weil es entmenschlicht wurde

wenn Gott ist auf der Zunge

nur ein Gebet noch stumm verlassen

ein Schrei nur noch

ein Zucken eine Lähmung

eine tote Miene

sie fliegen unberingt

und tragen doch

im Herzen gelbe Ringe

Kunst bewegt zur Toleranz – Heine 42

Juni 3rd, 2007

Und diese Raben

blieben in der Welt

an ihnen blind erkennst du

die Flügel Gottes

ihre Federn zerfetzt

an Stacheldrahtzäunen, Drahtverhauen

über Apellplätze hinweg

durch Todesmühlen hindurch

sie setzen ihren Fuß nie lange auf

sie sind im Nu schon wieder weg

über Aschenplätze, glühende Halden

sie sehen

und sie bleiben blind

die Galgen derer

die man stieß hinweg

sie nähren sich von dem

was ausgesetzt nur Futter

gefällt und hingestreckt

die Augen ja auf Schlachtfeldern

auf Todesminen

sie pickten sie zuerst

die glasge Stille

die wenn nichts mehr bleibt

die Lippe

die nun nicht mehr spricht

noch schweigt

wo nur noch Masse ist

was eben Mensch noch war

die Stirn

die nun das Denken los

das Haar als Spiel

zerzupft sogleich

und nur der Wind

streicht über kahle Haut

und Regen wäscht

das Blut nur tiefer in den Sand

der grau ein Staub

nur ein Vergessen ist

Kunst bewegt zur Toleranz – Heine 41

Juni 2nd, 2007

gewidmet dem Yael Elya Institut

Die Raben des Elijah 

Sie sehen den See nicht und die Nacht

sie fliegen blind durchs Dunkel nur ein Ziel

zu speisen diesen weisen Mann

der still vor einer Höhle sitzt und schweigt

auf kahlen Ästen rasten sie im Mund den Happen

in ihren schwarzen Federn noch ein weißes Haar

vom Barte oder Haupte des Propheten

es ist als ob er mit dabei auch flöge

durch Nacht und Leere, Schweigen, Tal

es ist als ob da alle Zeiten stille stehen

ein Flug der rabenschwarzen kahlen Nacht

und nur der Mond ganz bleich

inmitten silberheller Sterne, doch

sehen’s die Raben nicht, solange sie

den Dienst zu sättigen

den Hunger des Propheten hat Gott

die Augen ihnen ganz gedeckt

sie sehen den Propheten nicht noch wie er speist

sie fliegen blind durch Wälder, Täler hin

an Felsen sicher ganz vorbei

und finden blind das Futter und die Stelle

sie picken’s auf und hacken schnell

und wissen immer wo der Mund ist des Propheten

am Tag wenn Sonne heiß auch brütet gnadenlos

das Brot in ihrem Schnabel unzerkrümmelt frisch

so selten war ihr Flug so ganz gelenkt

der Raum war einfach Luft und Leere und

füllte aus doch alles restlos ganz ein Wille

nichts blieb da übrig, fiel daneben

es war genug und knapp und nie

zuwenig und zuviel, genau gemessen

und unter ihren Flügeln breitete sich aus

ein Schweigen das sie nie gekannt

im Innern strahlte eine Helle wie noch nie

als hätten sie die Sonne ganz verschluckt

und ihre schwarzen Federn spannten eine Weite

die fächerte den Himmel gänzlich auf

selbst wenn sie flatterten kurz über einem Ast

es war als ob sie stille standen

und plötzlich fiel von ihnen alle Schwere nur hinab

und wenn sie wieder Erde unter ihren Füßen

war weder Kälte noch, noch Hitze

und selbst im Regen wurden sie nicht naß

geschützt in einer Regenbogenhaut wie nie

die Kanten ihrer Schnäbel waren glühend Messer

die tief und glatt das Fleisch zerhackten

und ihre Krallen hielten eine Beute

die sie nicht sahen, die ganz bereit und

willenlos der Schärfe ihres Tuns entgegenbrach

kein Tropfen Blut fiel auf das Gras

wie flinke Schatten flogen sie und ließen

alles unberührt und unversehrt

nur wußten sie, der alte graue Mann

er liebte ihr Gekrächze, er hatte

sonst ja niemand außer Gott

mit dem er sprach

so kreischten sie

daß selbst im Fels

ihr wildes Kra-Kra-Kra

Gekrächze schrak den Stein

und fütterten den schweigenden Propheten

mit Sprache eines fremden Flugs

Kunst bewegt zur Toleranz – Heine 40

Juni 1st, 2007

Das Wort

aus jenem Thoraschrein

das immer ist Geburt

es ist ein fremder Stern

der zieht dahin

und leuchtet

durch den Tod

die Engel

haben abgenabelt sich

 

 

und aus dem Staub

noch Asche

auf der Stirn

 

 

tritt unverletzt

die Frage

 

 

was unterscheidet diese Nacht

von all den andern Nächten

 

 

und diesmal

antwortet das Schweigen

 

 

eine offene Tür das Wort

ein leerer Becher