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Das Gedicht, die Liebe und die Therapie

Donnerstag, August 28th, 2008

Das Gedicht, die Liebe und die Therapie

Sein Vater war Uhrmacher gewesen. Großvater und Onkel auch. Die Zeit zu messen, war ihr Beruf. Die Zeit zu verändern, seiner. Andere Erfahrungen von Zeit. Dem Nichtmessbaren Raum auch zu geben, der sich verwirklicht in unserer Zeit.

Therapie, Liebe, Gedicht war doch alles gleich. Oder gab es da Unterschiede ?

Im Gelingen nicht, nur im Mißlingen.

Wenn es glückt, ist es dasselbe und kann anders nicht sein.

Es ist immer Anfang.

Anfang einer Begegnung, an der Teilhabe einer gemeinsamen Zeiterfahrung, wo man konfrontiert ist mit einem Gegenüber.

Es ist Anfang immer, der nie endet.

Ein Feuer, das nie verlöscht. Ein Atem, der durch den Tod hindurch geht.

Der Schlußpunkt eines Gedichts ist immer auch der Anfang eines anderen.

Liebe endet nicht. Sie ist ja gerade das Wagnis und Hineinwachsen in das was da übersteht, dauert, sich löst vom Tod, Findung, die nicht kurzfristig nur Betäubung ist.

So ist Therapie Wagnis auch immer. Ihr Ende zu wissen, hieße, den Anfang erst gar nicht aufnehmen zu brauchen, sich zu ersparen.

Eine Therapie wie auch ein Gedicht ist das Wagnis offener Leere. Die nicht vorbestimmt ist allein von vermeintlichen Konflikten, anzustrebenden Lösungen, die vielleicht das Problem nur verdecken. Wie in der Liebe ist Therapie und ein Gedicht das Fallenlassen aller Schablonen, die Chance einer Begegnung, die Findung sein kann, weil nichts vorgegeben ihr ist. Ein Wagnis, das man auch bereit sein muß, einzugehen, daß scheitern kann, aber auch daher die Chance hat Fesseln des Zwangs lösen zu können, wo man im Fallen des Abgrunds von Flügeln getragen wird, die man noch gar nicht gekannt.

Therapeuten, die also meinen, die Therapie ist beendet, sich zu verabschieden für immer, die Bilanz ihrer Buchungen gezogen zu haben, haben eigentlich nie begonnen, je zu therapieren.

Eine Liebe, die schon meint, die Flammen zählen zu können, in der hat das Feuer nie gezündet.

In ihr ist der Brand schon erloschen, der unaufhörlich Wälder verbrennt und immer wieder neu ergrünen läßt.

Auch für den Therapeuten ist die Therapie Wagnis. Denn er weiß, ein Gelingen das ist Änderung immer. Eine Liebe ja auch. Aber das ist Bereicherung immer und geht nicht, wenn man die Welt aufteilt :

Dort ist der Dichter und dort ist das Produkt, das Gedicht. Dort ist der Therapeut und dort sein gnädig wertzuschätzender Klient, der auch als Kunde noch bezahlt, bzw. für den gezahlt wird von den mächtigen Hydraarmen staatlicher Krankenkassen und Institutionen. Dort ist das Subjekt und dort das zu behandelnde Objekt. Hier ist die Lösung, das Wissen und dort der Konflikt und die Schatten.

Licht und Schatten sind tiefer und anders verstrickt.

Liebe, Therapie, Gedicht heißt einfach wahrnehmen.  Und sich nicht sperren dagegen. Zuzulassen. Das heißt gerade sich zu öffnen. Nicht zu blockieren.

In einem solchem Prozeß entsteht Sprache neu und bleibt nicht dieselbe, weil sie gespeist wird mit Facetten, die nur in Beziehung zu einem andern sich neu entfachen und prismenartig alle Sprachgewohnheiten neu reflektieren lassen.

So in der festgefügten Ordnung des Gedichts hat das Wort ja seinen festen Ort, gerade weil es an dieser und nur an dieser Stelle neue Brechung des ganzen Kontexts ist.

Es ist nicht ersetzbar durch eine Interpretation. Nur ein schlechtes Gedicht hebt sich mit einer Interpretation auf. Atem, Haut, Augenaufschlag und Augenblick sind nicht übersetzbar, austauschbar. Ambiguität und die Freiheit ihres Wagnisses tilgt nicht aus die Berührung des Unfaßbaren.

Das, was man zuvor nicht vermutet, im Abgrund endet die Beliebigkeit, wächst eine neue Präzesion. Auch wenn diese nicht testbar und entzifferbar immer ist. Ihre Exaktheit ist genauer. Ich messe die Zeit anders als meine Väter und Vorväter.

Die Wissenschaft der Psychologie ist vielleicht der Versuch, die Seele zum Uhrwerk zu machen.

Aber die Seele ist die Unruhe, die im Zeitlosen schwingt wie sie auch im Zeitlichen ganz jetzt und hier tickt.

Du tickst nicht richtig. Ist der Vorteil des Patienten. Der Konflikt ist der Motor, der seine Fassaden durchbricht.

Der Therapeut hat es da schwieriger. Empathie alleine reicht nicht. In sich hineinsehen, wo die helle Welt seiner Aufklärung und seiner Privilegien am Ende doch Schatten wirft im Machtgefälle zum Gegenüber, die er so nicht gewollt.

Wenn der Therapeut seine Fassaden nicht durchbricht, bleibt er am Ende Guru oder versteinerte Sphinx.

Der erfolgreiche Dichter vermag ebenso zum Etikett degradieren. Der Dichter, der meint, sich gefunden zu haben, die Weisheit zu besitzen, die Wahrheit auf den Lippen, von dem hat das Schweigen sich bereits verabschiedet, aus dem allein Neues entsteht.

Wer meint, genau zu wissen, was ein Gedicht ist, sollte Germanist werden. Nie Dichter.

Linguisten sollten mit den Uhrmachern der Seelen Papageien züchten und in ihren Gärten Digitalgewächse anbauen.

Pädagogen sollten erst mal an Spielautomaten üben, was ein Kind ist, Zufall, Gewinn oder nie enden wollende Serie.

Sexualtherapeuten sollten einfach nur selber glücklich sein.

Hypnotiseure nicht in den Spiegel gucken.

In den systemischen Spielwiesen rangelt sich alles. Die Erde ist aufgewühlt von tausend Regenwürmern, die Angst haben, daß vom Himmel kein Regen mehr fällt und die Erde vertrocknet.

Man traut der Bischöfin Käsmann zwar alle Karriere zu, aber keinen Regen mehr.

Wer liest, was der Papst über die Tochter Zion schreibt, erbleicht. In ihm lacht die Schwarze Madonna. Er ist feministischer als alle seine Gegensacher.

Wir müssen uns bewegen in den Bildern dieser Welt. In den Legenden, die keine Mythen mehr sind, und die uns täglich geliefert werden von den Mumienwächtern heutiger Pharaonenanstalten : den Journalisten der Medien.

Aber es hat sich nichts geändert. Das goldene Kalb bleibt das goldene Kalb, auch wenn es sich noch so vermehrt.

Die Bundeslade ist leer. Der Dichter weiß noch,  was er verloren hat.

Der brennende Dornbusch, aus ihm allein schöpft Atem noch was in den Schatten nicht erstickt noch aufgrellen sich läßt zum blendenden Irrlicht.

Gedicht, Therapie, Liebe das ist ein Feuer.

Ein Wagnis, Mensch zu sein inmitten versteinerter Strukturen, verflüssigter verflachter Begierden, verwässerter Wahrheiten.

Worte sind Splitter brennenden Dorns.

Das Gedicht bindet sie zu einer momenthaft vergänglichen Krone.

Liebe ist etwas, ohne das etwas nichts ist.

( das jedes Gedicht eigentlich Liebesgedicht ist, schrieb ich als Student einem Professor, keine Antwort, aber auf dem Klappentext seiner Gedichte fand ich den Satz dann wieder )

Was die evangelische Kirche verlernt hat, einst ihr großer Beitrag, daß das Wort lebendig ist, Leben schafft, Fleisch wurde, schöpferisches Denken, das alle Schablonen durchbricht, rausreißt aus der verbeamteten erstarrten Lähmung und saturierten Langeweile, das bleibt in jedem Alltag, jedem Gespräch, jeder Therapie, jedem Gedicht. Das Wort ist der Stachel gegen den Tod gezückt,  daß der Hydra der Zwänge, Ängste und Ausflüchte den Kopf abschlägt.

Die Thora eine Rolle, Schriftzeichen, Buchstaben, Zahlen, Geheimnisse, in der die Worte aus dem Atem der Schöpfung und des ersten Tags, aus Verfolgung, Verrat und Lobgesang  lebenspendende Schöpfung wiederum selber wurden.

Ob Schamanismus, Zen-Buddhismus, Tao, Koran oder indianische Weisheit, jede Religion spürte, was aber auch reflektierender Atheismus oder Nihilismus zu spüren vermag, um aus der Erstarrung heraus zu lösen sich,  bedarf es oft Mittler. Wie immer die auch heißen mögen, Priester, Schamanen, Therapeuten, Helfer…egal. Die Mittler ermitteln was an Mitte verlorenging. Dies ist ein lebendiger neuschaffender Prozeß, der die Mittler selbst miteinbezieht in das Wagnis der Veränderung, der Suche und Findung möglicher Lösungen. Passivität der Verwertbarkeit und des Konsums reicht da nicht aus. Zwangsfröhlichkeit auch nicht. Das Verdrängte versteckt, verbirgt oder behütet die Asche, aus der im Wagnis zu dem Unbekannten neue Funken und Flammen zu schlagen vermögen. Sie setzen die Welt in Brand, der gespeist ist aus einem tiefen Atem der Liebe, die sich in neuer Wachsamkeit und unvoreingenommener Wahrnehmung öffnet der Gegenwart, weil sie sich gewiß ist einer Verheißung, die über den Tod hinausgeht. Uhrwerke messen die Zeit, aber sie fassen sie nicht. Seine eigene Zeit zu werden und nicht abgegrenzt zu sein vom Gespräch der Menschheit,  das bereichert auch den Atheisten über den Tod hinaus.

Brot und Wein ist für Hölderlin wie für den Christen der Zugang an jener Teilhabe, die sich uns nur schenkt, wenn wir auch zulassen, daß sich uns etwas schenkt, daß wir tiefer und reicher zu leben und zu sterben vermögen.

In der Gnade zu sein, ist etwas, was wir noch nicht in der Konsumgesellschaft zu bestellen vermögen. In der Gnade, die Veränderung immer ist, bei sich, dem Gegenüber, in der Beziehung zueinander, im Gespräch, in der Sprache, in der Bedeutung des Worts, in der Intonation, in der Liebe, in der Berührung, im Blick, in allem.

In der Gnade zu sein heißt, es glückt und es gelingt, Therapie, Liebe, Gedicht.

Es ist ein und dasselbe.

Vor mir hier in Cartosio über Steinplatten sich erhebend ein hoher grünender Busch. Weißer Nebel statt Blüten. Eingerollt ganz fahl weiße Blättchen, unauffällig, die man übersieht. Sieht man jedoch näher hin, könnte man meinen, fahlweiße Insektenkokons seien hier ans Blattwerk geraten.

Der Busch zeigt mir, daß Zeit nichts unveränderbar Stillstehendes nur ist.  Derselbe Busch zu einer anderen Tageszeit und Stunde strahlt weithin seine leuchtend blauen Kornblumenblüten. Deren tiefes Blau nur überlebte in der Hitze des Sommers hier, weil es sich ganz unscheinbar fahl hinter tarnender Weiße zu verbergen und zu schützen vermochte.
*    *   *
Das Gras verdorrt

auf meiner Lippe
Asche nur

die schwarze Madonna

pflückt rote Mirabellen

und legt sie auf Gräbern
mit eisernen Griffen

das Wunder Leben
daß da Schöpfung ist

beseelt

und selbst im Tod

keine Sichel den Segen
zu trennen vermag

Tochter Zion freue dich
*   *   *

Cartosio, 13. Juli 2008                                        Friedrich G. Paff

http://www.friedrich-g-paff.de/neu

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