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9. November

Sonntag, November 9th, 2008

Marburg 9. November 2008
17 Uhr Gedenkveranstaltung offen gelegt
ausgegraben Mikwa, Pfeiler
mahnende Fundamente der Synagoge
auf dem Brandplatz einst
drängen sich die Leute
du hörst den Namen Samuel Bacharach
und denkst an Nußbaum, Eichberg, Hirsch
an Seidler und an Thorion
17 Uhr Dämmerung und die Raben kamen
kreischen, fliegen am Himmel empor
zerteilen und sammeln sich wieder
wieviel sind es ? unzählig
500  ? 1000  ?  777 ?
all die Raben der Kriege
Leichen-und Totenfeldern
die auch die Asche von Hadamar noch pickten
ausgestreut an den Ufern der Lahn
eine brodelnde Masse aus Quellen hervor
scheint es zu sieden so aus einer Dichte
flogen sie auf dann wieder still
Buchstaben fast scheinen zu bilden sie
hebräisch kufische Zeichen die aber
sofort wieder zerfließen verfliegen
sie die da speisten den alten einsamen Mann
die Begleiter der Fluchtwege, Müllhalden
Totenäcker, Galgen, ausweglose Klippen
ihr Geschrei der Gesang  der die Stille zerreißt, zerfetzt
ohne jegliche Melodie nur ein krächzendes aber
aber doch, heiseres messerscharfes Kraaa
nie mehr werden sie sitzen auf dieser hohen
stolzen einstigen Kuppel der Synagoge
es ist als suchten sie diese Kuppel die Raben Elias,
um zu sammeln sich,  die da unterging in Frevel, Schändung
Feuer, Brand, in Haß, Verfolgung, Wut
die da ein- und ausgingen hier und
nie mehr kamen, kommen wieder
schwarze Schatten am Himmel  in diesem Feuer da tanzen sie
die Raben der Dämmerung und der Nacht und des Erinnerns
und dann wird da gelesen Hesekiel 37
das Feld voller Totengebeine und die Raben fliegen
darüber hinweg ein Krächzen ein Rauschen eine Stille
und die verdorrten Gebeine erfahren, daß Er – geheiligt sein Name –
es ist,  der da zu geben wieder vermag Geist, Odem und Hauch
Kraft, Atem, Körper, Haut, Leben und Fülle
und das Schma Israel ertönt in die Nacht
in die Nacht der Raben in die Nacht von 1938
in die Nacht von 2008 und du hörst die Namen Maidanek
Treblinka, Auschwitz, Dachau, Buchenwald
und du hörst was in deinem Verstehen nie ein Mensch
das Recht hat zu sagen auch wenn du es zuläßt in dir daß es
vielleicht letzte Findung, Wahrheit, Ankunft, Rettung ist
aber wie kann ein Mensch das sagen…..vernichtet zur
Heiligung Deines Namens …dem Grauen noch einen Sinn
zu unterlegen, der  Absurdität,  der Hoffnungslosigkeit
der Banalität von Blockwartswächtern
dem grenzenlosen Morden, Wahn
könnte Elie Wiesel dies sagen ?
von dieser alten Synagoge weg
die ausgelöscht und ausgetilgt
und doch vergessen nicht
und nie Museum nur Touristik
Sightseeing oder Grabungsfund
von dieser alten Synagoge weg
zur neuen führen viele ihre Schritte
du fragst den Nachbarn
nach den Namen die hebräisch
auf dem blauen Vorhang stehen
doch er weiß es nicht
wo aus aus dem Dornbusch sich
aus Dornen kahlem Astwerk
rabengleich sich Buchstaben
entwickeln wachsen sprießen
Saat Des Der da Odem gibt
und Feuer Geist und Leben
und ein Konzert Gesang
so konzentriert vokalisch
Höhe Stille läßt abfallen
alle Eitelkeiten gibt Raum
gibt Weite Sicht auf
das was zählt
der Augenblick inmitten
des Lebens jetzt und
der Gemeinde hier die
Ankunft immer
Nichtvergessen ihrer Toten
und auf dem Rückweg dann
zum nächsten Morgen und zum nächsten Tag
zu dem was nicht bewältigt
und nicht zum anvisierten Gedenktag nur
abseits vom Leben dann
wo man Gewissen parkt, neu aufpoliert
und im Vorbeigehen dann
wo eben noch sich alles drängte
still leuchteten die Lichter
hinter dem Drahtzaun
versperrt wieder das Gelände
dunkel und brach vereinsamt
der Platz wo einst
die Kuppel hoch sich wölbte
in die Nacht des 9. November 2008
still sieben Lichter am Boden
leuchten sie in die Finsternis
das Gedenken aus Stille und Licht
eine Menorah die auffängt
all das Schweigen
auch all den Schmerz
den niemand teilt

9. November

Sonntag, November 9th, 2008

Hat man noch Zorn
noch Wut noch Trauer
soll man gedenken
oder nicht
und wer bestimmt
wie denn Gedenken sei
das nur von innen
kommen kann und schlicht
und abgehoben kann es
nie sein von allem
was man sonst auch lebt
70 Jahre diese Nacht
welche Schatten wirft sie
und das Feuer frißt
noch in die Seele tief
noch unbewältigt
Widersprüche
glatte Reden glatte Steine
Gedenken heißt
Nicht zu Vergessen
und zu benamen auch
was Auseinandersetzung ist
und bleibt
noch ungeehrt in Marburg
Erich Klibansky
und ward doch vorgesehen
für heute
für diese Nacht
die niemals endet
nur im Aufbegehren
gegen alle Schatten
gegen alles was da
aussortiert …
daß niemals mehr
so frevelnd hetzt….
und mordet, schändet..

( …gehe zur Gedenkveranstaltung jetzt
an die Alte Synagoge )