Kunst bewegt zur Toleranz – Heine 142

Wernerkapelle und Stadtmauer
 

 

 

Ein fast 100 jähriger Zeuge in dem von Winand angestrebten Heiligungs-verfahren sagt aus, daß er geboren sei, als Bacharach noch keine Mauern hatte. Diese gewaltige Anstrengung und Leistung der Türme-  und des Mauerbaus wirft vielleicht auch ein Licht auf die Wernerkapelle. Wo man die Sadt derart repräsentativ und stolz umgürtete, ummantelte, umtürmte, bis zur Burg hin Türme und Mauer über Berge zog und inmitten das Kleinod, dessen hohe Fenster bestimmt bewundert wurden – unvollendet noch. Widerspruch und Ansporn bestimmt endlich nun auch den Bau der Wernerkapelle, erhöht inmitten des Mauerrings gut sichtbar, zu beenden.
 

Bacharach schönste und alte Visitenkarte, der Merianstich von Wenzel Hollar zeigt sie uns dann ausgebaut schon.
 

Die Kapelle wie jede gotische Kirche Sinnbild des himmlichen Jerusalems. Und alle Dämonen abwehrend, indem man ihnen ihr Spiegelbild zeigt, geschützt von kunstvoll mächtigen Wasserspeiern, Chimären.
 

Inmitten des Mauerrings, erhöht auf einem Felsplateau, ein Abbild einer himmlischen Stadt.
 

So wie die Wand aufgelockert ganz durch Fenster, ist der Mauerring aufgelockert durch Türme.
 

Was der Kapelle die Fenster, sind hochaufragend der Stadtmauer die Türme, deren Tore ebenso.
 

5 Fenster jede Konche der dreiblättrigen Kleeblatt-anlage. 5 nach Osten, 5 nach Süden, 5 nach Norden. Die Stadtmauer zum Rhein hin 5 Türme, Zoll-,  Kranen-,Markt-, Münz-, Diebesturm. Fortifikatorisch völlig unzweckmäßig 5 Tore so dicht nebeneinander. Uns warum zum Rhein, wo der Landweg über Brückentor und Zehnttor doch ging. 5 Türme im Norden bis zur Burg. Zehnt-, Spitzen ( alter Posten)-,  Katzen ( jetziger Posten)-,  Steeger-, Liebesturm. 5 Türme im Süden zur Burg hin. Brücken-, Hut-, Sonnen-, Kühlberg-, Halbturm.
 

Die Wernerkapelle, oder kirchenrechtlich korrekter die Kuniberts- und Andreaskapelle ist wahrlich Wahrzeichen und Modell dieser Stadt.
 

Für mich ist kein Zweifel, daß ihr ursprünglicher Plan genau eingehalten wurde. Eine Dreikonchenanlage mit genau der engen Umgebung angepaßtem kleineren Westbau. Eine vierte Konche hätte sie überhaupt  Platz, eingeklemmt total zum Berg hin, kaum sichtbar, wäre auch optisch völlig sinnlos.
 

Manche Kritiker sprechen der Bacharacher Stadtmauer jegliche fortifikatorische Bedeutung ab, was ich nicht für zutreffend halte, sonst hätten die Franzosen die drei mächtigen Rundtürme nicht gesprengt. Und die Schwachstellen zum Rhein hin, zuviel Tore, die Türme waren wohl fensterlos mehr und kaum Platz war außerhalb vor ihnen, da der Rhein viel näher an ihnen war als heute.
 

Aber die Führung der Mauer über die Berge hin war wohl kaum zu verteidigen.
 

Eindeutig überwog bei der Bacharacher Stadtmauer das Gesamtbild und die Repräsentation, wie man ja auch auf Siegeln dies oft stolz ausdrückte.
 

Eine verteidigungsgemäß sinnvollere Stadtmauer wie die in Oberwesel hätte die Peterskirche als Mittelpunkt gehabt und nur die Stadt umfaßt; so schloß man die Burg mit ein und war es eigentlich eine Stadtmauer oder eine erweiterte Burganlage, es war ein stolzer Anblick allen Feinden und Gästen gegenüber.
 

Schon von weit her eine Einheit, in deren Mitte sichtbar erhöht die Wernerkapelle thronte ein noch unvollendetes architektonisches Kunstwerk, das alles übertraf. Von weithin ins Auge stach.
 

Man baut nicht 15 Türme und eine so gewaltige über Berge sich hinziehende Mauer um ein liegengebliebenes Fragment herum, das fertigzustellen wohl gerade jetzt bei der in  und zu Stein gewordenen stolzen Repräsentation der Stadt anstand.
 

Die Wernerkapelle als architektonisches weit hin sichtbares Kunstwerk mit ihren hohen Fenstern und herrlichem Maßwerk dürfte als solches nicht erst seit der Romantik wahrgenommen worden sein, sondern gerade auch in der Blütezeit der Stadt, als diese sich mit Stadtrechten versehen stolz in Türmen schmückte, ja auch später gar in ihrem Anblick einem himmlichen Jerusalem verglichen wurde.
 

Fast eine idealtypische Stadt wie Burg, Türme, Kirche und Kapelle eng an die Berge geschmiegt, eingerahmt von dem alles umfassenden steinernen Band des Stadtmauerrings.
 

Ausdruck und Vollendung einer Bürgergesinnung, die sich nach außen abgrenzte, ihre eigene Identität gewann, ihr eigenes Bild schuf und sichtbar ausdrückte – bis zur Spitze der Burg hin – Stadt zu sein.
 

Stadt, die mit ihrer freieren Ratsverfassung aufzublühen vermochte als lachender Dritter zwischen den zwei sie beherrschenden um sie rivalisierenden Mächte, Kurköln mit seinem Kunibertspatronat und Andreasstift  und Kurpfalz mit Zoll-und Burgverwaltung.
 

Die Stadtmauer umfaßte alles. Inmitten darin und erhöht die Wernerkapelle und so dürfte kein Zufall sein, sondern begründet auch außerhalb zweifelhafter theologischer Heiligenverehrung, daß zur Zeit Winands eine Fertigstellung der unvollendeten meisterlichen Kapelle inmitten des sie umziehenden Stadtmauerrings überfällig war.

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