Kunst bewegt zur Toleranz – Heine 126

Der blinde Schütz von Sooneck
 

Sie holten ihn
aus dem Verlies
aus tiefer feuchter Grube
wo er nur rund lief
angekettet noch
kalt der Fels
nur etwas Erde aufgestampft
und faules Stroh
der Himmel nicht zu sehen
in diesem innern tiefen Schacht
des hohen fensterlosen runden Turms
sie holten ihn
aus dem Verlies
den blinden Alten
weißbärtig, grau verfilzt
sein langes ungeschornes Haar
verfetzt in Lumpen was bedeckt
die abgemagert knöcherne Gestalt
so humpelt er dahin
Gespenst geworden er
der er Mensch mal war
geblendet weil er einst
zu sehr geliebt
die Frau,  die Schönheit,  Minne
die sie selber so begehrten doch
die Augen ausgestochen
leer und nur mit Hanf gefüllt
die Augen dieses Meisterschützen
sie holten ihn
zum Höhepunkt des Fests
zum Hohn, zum Spott
zur Lachparade
die sie zwanghaft
nur noch amüsieren können sich
um Mitternacht
ergötzten sie sich
im vollen Suff, im Rausch
die allzu blenden
an den stumpfen Augenhöhlen
ohne Glanz, ohn jegliche Pupille
sie haben ausgetilgt
was nicht mehr trifft
und waren sich sicher
hatten doch obsiegt
die Macht auf ihrer Seite
doch reicht der Sieg nicht immer
hält nicht an
ach allzu schnell vergeht
der Siegestaumel
so spielt die Katze mit der Maus
genüßlich langsam
läßt sie wieder los
und laufen frei
sie stellten ihm
den goldnen Becher hin
als Lohn nicht, nein,
als Hohn, als Ziel
der Alte nahm
ganz langsam
die Armbrust in die Hand
die Hand sie legte sicher
den Bolzen und die Schmach
sie spannte weit
sie lachten gellend auf
wie er blind doch war
der Becher auf der Truhe
blieb ruhig ganz stille stehen
in den Sekunden ganz aus blinder Tiefe
und es erstarb
für immer
das Lachen
in der Kehle dessen
der am meisten geblendet und gelästert laut
aufschallend lachte
der blinde Pfeil
er traf genau sein Ziel
 

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