Kunst bewegt zur Toleranz – Heine 47

Auf der Kapelle sitzen Raben

Jahrhunderte schon lang

sie sprechen mit den Speiern

durch die der Regen fließt

den Drachen und Dämonen

den Fratzen und Chimären

wenn unter Wolken ganz die Stadt

der Regen über graue Dächer gießt

und Stille breitet sich dann aus

Gekreische und Gekeife in den Gassen dann verhallt

und auf dem Kirchturm drüben

der Hahn er rostet in dem Wind

der Hahn dort auf Sankt Peter

dem einst er auch gekräht

die Höhen sind nun wieder frei

die Galgenberge weg, die Hakenkreuze auch

der alte Friedhof ist nicht mehr

die Steine alle weg, die Gräber zugeschüttet

wir gehen immer über Gräber

und wissen es oft nicht

die Wasserspeier spucken alles aus

den Regen und auch das Vergessen

das in den grauen Schieferdächern haust

doch hier in diesen stillen Mauern der Kapelle

ist unbedeckt der Himmel offen

noch vieles was in dieser Stadt

fühlbar zugegen

es singen hier die Vögel über Gras

und fliegen durch die hohen Fenster

durch kein Portal tritt man

mehr ein noch aus

Natur schuf mit den Zustand der Kapelle

und trug den einen Flügel ganz hinweg

er rutschte in die Tiefe

so sackte ab der alte Eingang

mit der Madonna und dem Kind

direkt inmitten steht man nun

und geht hindurch und auch vorbei

wo früher war man ganz schon mittendrin

und steile Treppen führen nun hinauf

wo früher sanft man von der Seite

durch Gärten, Weinberg hochgeschritten

die Schatten der Kapelle waren

Pilgerfahrten, ferne Muscheln

doch auch das Schwert,

Verfolgung und der Strick

man mordete im Namen dessen

der gemordet wurde doch wußte

niemand dann von wem, das heißt

es wußte jeder dann sofort und schon zuvor

und selbst nach Generationen noch

die Enkel zeugten was sie nie gesehen

so schafft man immer neue Opfer

und sucht den Haß den Feind sich aus

im Namen Christi, Allah oder der Vernunft

des Fortschritts, der Gefahr des Vaterlands

des Lebens ohne Raum, Revolution, Globalisierung

der Freiheit, Toleranz, der Sitten

und wir verteidigen in fernen Ländern

die wir gar nicht kennen

seit jeher Kreuzug stets

das was uns auch dann

kommt abhanden das wozu

doch in den Mauern der Kapelle

die Pfeiler stehen noch

die Pfeile sind hinweg

am Ketzerufer Scheiterhaufen auch

es spannt sich nicht der Bogen mehr des Haßes

die Pfeile sind hinweg

das Dach gleich mit

als Feinde sprengten hier die Burg

oder verwitterte es ganz einfach

als die Konfessionen sich bekriegten

und vieles nicht mehr tauglich war

Bilder und Skulpturen

das vorher heilig war

der Leichnam der gemordet

kam abhanden

der Sinn so der Kapelle auch

es hielten nun die Raben Einzug

die Schlangen, Mäuse, Würmer auch

der Wind pfiff durch die Fenster

der Regen klatschte naß ins Gras

doch da entdeckten dann

die tiefen stillen Augen der Romantik

daß hier was aufgebaut

was mehr war als Progrom und Grabesstätte

in diesen Stein flocht sich ein Schicksal ein

daß aus dem Dunkel der Geschichte

sich hell in Kunst erhob

die Höhe feiner Sandsteinrippen

das Maß, die Proportion, die Zahl

daß hier erschaffen etwas was sonst nicht

gebaut ein Wille ganz aus hohem Streben

der ohn Zuviel und Übermaß und Zier

schlicht einfach diente einem hohen Zweck

der alle Niederungen überragte

und mitten in dem toten Stein

da wachte auf die Seele

und die Romantik fand hier ganz zu sich

und staunte vor dem Werke unbekannter Meister

Gott schenkte die Kapelle neu

und trug da ab die alten Schatten

die nochmal fürchterlicher flammten als zuvor

und jede Quelle nun versiegt

aus der dann Blut nur sprudelt

und Nischen leer

kein Buch mehr drin

kein Kruzifix kein Grab keine Monstranz

und Nischen leer

so wie ein Thoraschrein

das Buch das mußt du selber sein

dein Herz dein Wort

und Nischen leer

so wie ein Thoraschrein

es gibt kein Herz

das außerhalb

was Gott gegeben

auch die Engel der Finsternisse

übersteigen nicht den Glanz

den er der Schöpfung hat gegeben

und leer der Thoraschrein

auch der in jenem alten Haus

wo die Gesetzesrolle überlebte

die alte Synagoge ist verwaist

wir alle immer Pilger sind

egal was wir auch suchen

oder nicht mehr wissen

was wir suchen

was zu suchen

Jerusalem ist in uns

wenn wir finden

und ist doch immer

unser fernstes weitest Ziel

wir sind nur auf dem Weg

der immer Anfang ist

auf halber Höh

wo breit der Fluß

die weite Biegung macht

und öffnet groß das Tal

zum Süden hin

das abwärts dann

in Bergen felseneng gestaffelt

da wacht sie

oberhalb der Stadt

offen ihre Bögen

und grüßt den Strom

den Reisenden von fern

und ihre hohen Fenster

strecken hoch sich in den Himmel

und fallen ins Auge schon von fern

ihr rotes Sandsteinfeuer leuchtet

die Raben hier auf der Kapelle

sind Wächter über dieser Stadt

daß nicht die Wölfe wieder kommen

und fressen Haut und Haar die Seelen auf

auf graue Schieferdächer fällt der Regen

und  DER  in leeren Nischen scheinbar schweigt

nicht wir, nur ER kann geben

so wie der Strom durch Engen fließt

aus Wunden spendet  ER  den Segen

und die Kapelle über dieser Stadt

vermag der Denkmalschutz sie auch einzufrieren

ist nun das Haus der Raben

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